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    Strukturen N° 1, 2009, auf Seiten Freskobildnisse der Frührenaissance, 105 x 130 cm, Roucka 04
    Strukturen № 1, 2009, 105 x 130 cm
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    Strukturen N° 2, 2009, auf Seiten Freskobildnisse der Frührenaissance, 108 x 131 cm, gerahmt, Roucka 02
    Strukturen № 2, 2009, 108 x 131 cm
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    Strukturen N° 3, 2009, auf Seiten Freskobildnisse der Frührenaissance 108 x 135 cm, Roucka 03
    Strukturen № 3, 2009, 108 x 135 cm

Strukturen

Die Malgründe der Serie Strukturen sind aus Hans Misars Buch Freskobildnisse der Frührenaissance. Leben und Strukturen – die Menschengesichter treten in den drei Bildern zurück, universelle Formen zeichnen sich ab. Wie entstehen Strukturen, wie wirken sie, was verändert sie?

Strukturen und Leben, Estruturas & Vida nannte ich meine Auswahl an Bildern, die ich 2010 im Kulturzentrum des Jardim Botanico in Rio de Janeiro hätte zeigen können. Teil der ausgewählten Bilder war die Dreiergruppe Strukturen aus dem Jahr 2009, deren Malgründe aus jeweils 15 Seiten des Buches Freskobildnisse der Frührenaissance bestehen – Abbildungen von Gesichtern zum Teil gemischt mit Textauszügen von Giorgio Vasari. Anders als auf früheren Übermalungen lassen sich in den Bildern nur punktuell Gesichtszüge erahnen, zentral sind Bewegungsspuren und mehrdeutige Muster fortgesetzten Werdens.

Der Einladung nach Rio konnte ich 2010 nicht folgen, aber die Fotos des Jardim, diese reiche und besondere Vegetation regten dazu an, mich erneut in das Thema Leben und Strukturen zu vertiefen. Struktur steht für Aufbau, Gliederung, Ordnung, Geflecht, Gefüge, Gerüst, Gerippe, Organisation, Gruppierung, Zusammensetzung, Komposition. Wichtige Aspekte von Strukturen sind innerer Aufbau, Beziehungen der Teile zueinander, das Maß der Stabilität.

Ist so definiert nicht alles Struktur – in uns, um uns, das Universum?

Vor Jahren begann ich Steine, Schnecken, Muscheln, Baumrinden, Moose zu sammeln, begeisterte mich für kunstvolle Netze von Spinnen, die Innenwelt marokkanischer Drusen und Spiralen von Schneckenhäusern. Formen eines Ammoniten aus der libyschen Wüste zeichnete ich nach und entwickelte meine Schwäche für Rost. Fündig wurde ich auf Baustellen und „wilden“ Abstellplätzen, sogar auf Friedhöfen fiel mir manches zu: ein Wirbelknochen auf dem Weg, eine Engelshand aus Gips, verwehte Marmorstücke, ein Eisenhaken aus der einstigen Umfassung eines stattlichen Reeder-Grabes. Auch am verlassenen Winterstrand liegen Schätze offen da: Steine, Knochen, Miniaturen von Wellen und Wind geformt, ein Tavernen-Stuhl vom Sturm weit hergetragen.

Die Witterung im Vulkankessel Santorins ist ideal, um zu beobachten, wie Eisen sich langsam verwandelt, seine Struktur sich verändert und feuchte Luft den Prozess beschleunigt, wie äußere Schichten sich zersetzen, porös werden und dabei faszinierende Farbtöne bilden.

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Ludowika Huber, Strukturen, Schichten Vulkan Santorin 15
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Ludowika Huber, Strukturen, Schichten Vulkan Santorin 12
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Ludowika Huber, Strukturen, Schichten Vulkan Santorin 5

Fragen – Annäherungen nur

Wie entstehen Strukturen? Wie wirken sie? Was verändert sie? Es war mehr ästhetisches Gefallen als die Kenntnis höherer Mathematik, das mich zu Nachdenkblättern mit visualisierten mathematischen Formeln veranlasste oder zum Sammeln von Abbildungen organischer Pflanzenstrukturen oder Formen von Kristallen. Unter meiner Lektüre befand sich 2010 ein Artikel mit dem Titel Leben als zerstreute Struktur. Er handelte von Forschungen Ilja Prigogines, der für seine Theorie dissipativer Strukturen 1977 den Nobelpreis erhielt. Demnach ist Evolution das Ergebnis einer Kette von chemischen Instabilitäten, das heißt von chemischen Gleichgewichten, die zusammenbrechen und durch neue ersetzt werden. Anders gesagt geht es um die Frage: Wie bringen chaotische Zustände Ordnung hervor? Über biochemische Prozesse hinaus scheint diese Forschung interessant für die Antwort auf die Frage, wie Neues entsteht. Der Chaostheorie nach können kleine Veränderungen Großes bewirken.

Strukturen lesen?

Bilden zufällige Menschengruppen oder Menschen in Uniformen lesbare Strukturen wie die Landschaften, die uns umgeben? Um eine Landschaft zu lesen, greifen Geologen nicht nur auf chemische Mikroanalysen zurück. Sie deuten auch Sichtbares, was mir der Geophysiker Walter L. Friedrich beim Erkunden eines verschütteten Hafens nahebrachte. Seit Jahrzehnten erforscht er den Vulkan Santorins, dessen Ausbruch 1645 v. Chr. der größte der Bronzezeit war. Gesteinsschichten an Steilwänden des Kessels lassen Schlüsse auf damaliges Geschehen zu. Kaminförmige Gebilde scheinen wie von Menschenhand gemauert Stein auf Stein, über allem liegt ein weißes Bimsstein-Tuch: versteinerte eruptive Prozesse, offene Erdgeschichte.

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Ludowika Huber, Strukturen, Schichten Vulkan Santorin 11

Strukturen im Vulkangestein