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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz A15 56×42
    Interferenz № 1A, 1998, 56 x 42 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz B28 105×135
    Interferenz № 2, 2010, 105 x 135 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz_C37_105x135
    Interferenz № 3, 2010, 105 x 135 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz D56 103×134
    Interferenz № 4, 2010, 103 x 134 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz E1 1020×1320
    Interferenz № 5, Zum Weiß hin never ending I, 2017/2018, 102 x 132 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz F 420×297
    Interferenz № 6, Zum Weiß hin never ending II, 2022, 102 x 132 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz_G_Lu-5904-JM_ohneRahmen
    Interferenz № 7, Zum Weiß hin never ending III, 2022, 102 x 132 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz Lu 1190022 JM
    Schwingungen № 3, 2007, 100 x 160 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz Lu 1190024 JM
    Schwingungen № 4, 2007, 93 x 167 cm
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    Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz Z The Unknown 103×100
    the unknown, 2009, 103 x 100 cm

Interferenz

Der Bilderzyklus Interferenz entstand im Laufe von 24 Jahren aus einem Urbild, ein spontanes Zwischen-Menschen-Muster, Kohle auf Papier. Die Titelgebung geschah intuitiv und war Anlass, mich genauer mit Wellen- und Musterbildung zu befassen. Ich entwickelte die Interferenzmethode, mein Weg der Übermalung und fragte: Helfen physikalische Erkenntnisse, menschliches Verhalten, das Miteinander, Gegeneinander besser zu verstehen? Sieben Bilder der Gruppe bauen aufeinander auf, Leinwand-Reproduktionen abgeschlossener Bilder werden zum Malgrund für das nächste und so fort. Neue Strukturen bilden sich aus vorhandenen und bewegen sich vom Dunkel zum Weiß hin.

Das Urbild Interferenz zeichnete ich 1998 spontan, minutenschnell. Im Zwischen-Menschen-Muster erschienen Gesichter als Teil anderer Gesichter, die Augen als Fadenkreuze, Kohle auf Papier, schwarz auf weiß. In der Dynamik des Zeichnens fiel der Schriftzug Interferenz groß aus, das Denken kam später.

Zuletzt waren 1969 Gesichter mein Motiv – sich überlagernd, verzerrt in schreiendem Rot, starr blickenden Augen, die Höhlen dunkel, aufgerissen die zahnlosen Münder. In einer Samerberger Tenne, wo sie lagerten, hatten sich Mäuse an ihnen zu schaffen gemacht.

Die Kohlezeichnung vom Sommer 1998 entstand, als ich gerade zahllose Briefe schrieb und Gespräche führte, um das Zuhören zum großen Thema zu machen. Die Zeichnung spiegelt wie die Gedichte jenes Sommers die innere Erregtheit, die mich damals bewegte.

Zum Großformat – auf dass es ruhiger in mir werde

Die Aussicht, das Menschenmuster großformatig umzusetzen ergab sich 1999 auf der Vulkaninsel Santorin im Höhlenatelier meines Künstlerfreundes Urs Plangg (1933–2019). Den ersten Versuch erschwerte ich mir durch Grundierung mit einem Sand-Leim-Gemisch. Der Sand, Gestein über Jahrtausende verwittert, verwandelt durch Hitze, Kälte, Wasser und Wind, bremste die Kohle. Der Widerstand des Materials führte zu statischen Masken, zum schemenhaft-dunklen Gesichterteppich (128 x 155 cm). Temporär veränderte sich meine Wahrnehmung, Gesichter sprangen mich an – an Bäumen, Wänden, Wegen …

Der große Schriftzug Interferenz auf dem Urbild geschah plötzlich und war Anlass, mich tiefer mit dem Phänomen Interferenz auseinanderzusetzen. Fast nie schreibe ich meinen Namen oder den Titel vorne aufs Bild, ich ziehe die Rückseite vor. Nach der Lektüre, nach Skizzen und Nachdenkblättern und der Beschäftigung mit Wellen- und Musterbildung behielt ich diesen Titel für die Werkgruppe bei. Denn meine Methode des Übermalens entwickelte sich daraus. Die Gesichter oder die späteren Strukturen in den Bildern sind gleichsam verwoben und halten das Auge beim Betrachten in Bewegung.

Die dunklen Überlagerungen von Gesichtern beschäftigten mich einige Jahre in kleineren und größeren Kohlezeichnungen. Auch das Bild Schatten (147 x 134 cm) zähle ich zur Gruppe, eine Doppelgestalt mit schwarzer Sonne. Schluss mit Menschen! heißt 2007 ein Blatt aus dem Zerriss der letzten großen Kohlezeichnung, deren Zerstörung den Weg zu menschenfreien Wellenstrukturen eröffnete. Rote und schwarze Aquarellminen nutze ich für Schwingungsbilder, die das Gespür für Luft, Abstand, für Zwischenraum schärfen.

Skizzen zu Wellen und Schwingungen

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Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz B28 105×135
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Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz B28 105×135
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Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz B28 105×135

Was bedeutet Interferenz, was Interferenzmethode?

Interferenz beschreibt vereinfacht gesagt, die Überlagerung beim Zusammentreffen zweier oder mehrere Wellenzüge. Schön zu sehen, wenn Steine ins Wasser fallen. Eine Welle ist die Ausbreitung einer Schwingung im Raum, bei der Energie übertragen wird, kein Stoff. Wie ist es, wenn sich in einem Medium mehr als eine Welle bewegt? Wellen durchdringen sich gegenseitig, ohne dass eine Störung zurückbleibt. Bei zwei Wellenzügen im Wasser, erkennen wir den einzelnen nicht, nur das Zusammenspiel beider – die Verstärkung oder Auslöschung durch Überlagerung von Wellenmustern.

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Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz B28 105×135

Wellenzüge auf der Wasseroberfläche
Foto: Sandid / pixabay

Die Interferenzmethode ist mein Weg des Übermalens. Ich bezeichne damit das Überlagern, Verstärken, Auslöschen und Auflösen von Strukturen, das Gestalten von Neuem aus Vorhandenem, immer weiter jede Übermalung der Übermalung ein Werden, never-ending …

Vom Dunkel zum Weiß hin – never ending

Auf das schwarze Urbild Interferenz № 1 gehen alle aufeinander aufbauenden Bilder der Interferenz-Werkgruppe zurück. Das Kohle-Urbild wurde symmetrisch vervielfacht und auf eine 105 x 135 cm-große Leinwand gedruckt. Dieser Druck Interferenz № 2, von Jürgen Krumpschmid als Grabtuch charakterisiert, wurde zur Malbasis von № 3, nach der Übermalung wurde auch dieses Bild digitalisiert, der Leinwanddruck davon wurde zum Malgrund für das nächste Bild und so fort. Nach und nach verschwanden Gesichter, neue Strukturen, Figuren entstanden (Mischtechnik, Acryl, teilweise Rost, Blut, Knochenstaub). Für die Übermalung № 5, Zum Weiß hin – never-ending (102 x 132 cm) benutzte ich neben Grundfarben hauptsächlich Weiß und ab Bild № 6 nur noch Weiß – die Farbe, die alle Farben in sich trägt.

Das jeweilige Auflösen der Strukturen mit Titanweiß und Blanc fix, das als reinstes Weiß im Pigmentbereich gilt, war herausfordernd. Wieviel Weißung auf einer Stelle, welche kleinen Muster zur großen Einheit verbinden? Ich erinnerte mich an die Gestaltgesetze der Wahrnehmung, über die ich mit Eckehard Glaser (1929–1999) nachdachte: an Wirkungen der Ähnlichkeit, der durchgehenden Linie, Geschlossenheit, Nähe, Gesetz des gemeinsamen Schicksals. Bei welchem Grad der Weißabdeckung wird Räumliches flach, verschwindet? Zum Weiß hin – von wo aus, chaotisch, vom Rand, von der Mitte her, unter welchem Licht betrachtet? Die Farben interagieren und werden von umgebenden Farben beeinflusst, das erzeugt verschiedene WeißE. Wie weit damit gehen? Zurücktreten, das Ganze mit Abstand erfassen. Ruhen lassen.

Experiment

Ein spannendes Experiment war es, zwei Leinwandreproduktionen der Interferenz № 5 über verschiedene Wege zu übermalen. Bei der ersten Übermalung ging ich langsam über kleinteilige Veränderungen von außen nach innen vor (№ 6), dagegen übermalte ich auf dem zweiten Leinwanddruck im Bildinneren größere Flächen und erzeugte weiße Inseln, in denen die Feinstrukturen verschwinden (№ 7). Zwei völlig verschiedene Bilder entstanden aus der gleichen Ausgangsbasis.

Man darf die Kanten nicht brechen wollen, man muss versuchen zu biegen und zu runden, die Welt und sich selber. Lion Feuchtwanger

Ein Antrieb zur Malerei ist die Suche nach Bedingungen des Werdens: Fortwährend springt oder fließt eine Gestalt in eine andere. Ist in der neuen Form die alte unsichtbar enthalten? Durch die Interferenz-Serie setzte ich mich mit physikalischen Phänomenen, mit Wellen- und Schwingungsmodellen auseinander und fragte, ob physikalische Erkenntnisse helfen können, menschliches Verhalten zu verstehen – für neuronale Prozesse scheinen Schwingungen und Wellen sehr bedeutsam.

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Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz F 420×297
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Ludowika Huber, Interferenz, Interferenz_G_Lu-5904-JM_ohneRahmen

Interferenz № 6 und Interverenz № 7

Beispiele aus der Hirnforschung

Gehirnwellen, also neuronale Schwingungen, sind rhythmische, sich wiederholende Muster neuronaler Aktivität im Zentralnervensystem, die sich über große Teile des Gehirns ausbreiten. Die Oszillationsfrequenz der Wellen ist Taktgeber für das Gehirn, für Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Erinnerung. Wellen, Schwingungen sind wesentlich für die Bildung von Strukturen in Organismen. Wodurch werden sie gesteuert? fragt Entwicklungsbiologe Hans Meinhardt: Wie „reden“ Zellen miteinander, um im wachsenden Organismus Strukturen zu bilden? Vieles ist offen, als sicher gilt, Hirnwellen sind wichtige Informationsträger und beeinflussbar von außen.

Hirnströme halfen ebenso beim Entdecken der Spiegelneuronen, das sind Nervenzellen im Gehirn von Primaten. Durch Hirnstrommessungen bei Makaken wies Giacomo Rizzolatti 1992 nach, dass neuronale Prozesse, die während des Essens einer Nuss ablaufen, auch aktiviert werden beim Beobachten dieser Handlung bei einem Artgenossen. Bei Menschen wurden Spiegelneuronen 2010 entdeckt. Sie befähigen zu Mitleid, Empathie und uns in andere einzufühlen, zu verstehen.

Nachworte

Schwingungsvorgänge erzeugen Formen wie die Sechsecke von Waben, die Ordnung von Blütenblättern und die Gehäuse von Schnecken oder Muscheln. Wie ist es beim Menschen? Hilft das Schwingungsmodell den Menschen, das Miteinander, das Gegeneinander besser zu verstehen? Wer bringt bei wem welche Saiten zum Schwingen, zum Verklingen? Was trennt die Menschen, was verbindet sie? Die Sprache, ihr Klang, die Denkmuster, gemeinsame Erinnerungsmuster? Sind es die Kompositionen unserer inneren Bilder, die uns bewegen und wirken und in anderen klingen? Gibt es ein Streben nach Harmonie im Krach und Klang zwischen Individuum und Welt? Drängt dieses Streben nach Überwindung von Gegensätzen, drängt es danach Männliches und Weibliches zu vereinigen? Ist Liebe ein Resonanzphänomen?

Und die Abgründe, das Morden? Energetisch verläuft alles in Schwingungen, die sich in Resonanz zueinander befinden. Sie erzeugen sich stetig wandelnde Muster. Und die Musterbildungen bei den Menschen, ihr Verhalten, der Dialog, ihr Handeln? Verhält sich alles wie Wellen, die sich durchdringen, verstärken, auslöschen? Wie bewegt sich heute das Individuum in der vibrierenden Welt, wie wird es bewegt im tanzenden Raum, der offen ist und ohne Mittelpunkt?