SolUna – Körperdrucke
Ein Anstoß, das 1993 aufgegebene Bild Sonne-Mond-Verschmelzung erneut aufzugreifen, waren Gespräche mit meinen Künstlerfreund Urs Plangg (1933–2019) über die mystische Bilderwelt und das Konzept der Archetypen von Carl Gustav Jung. Mit dem Wissen um alte Bedeutungen verwandelte ich 1999 das Sonne-Mond-Motiv in Drucke mit weiblich-männlichen Körperspuren.
Sole et Luna – Sonne und Mond vereinen, glühende Eruptionen mit erkalteter Oberfläche verbinden als wären sie eins und beide sichtbar, von dieser Bildvision war ich Anfang der 1990er Jahre besessen. Wie das Verschmelzen darstellen? Magma aus einem 6000 Grad heißen Ozean zusammen mit erkalteten Mondmeeren, in denen es seit Jahrmillionen keine vulkanösen Aktivitäten mehr gibt? Wie eine glühende Plasmakugel mit der Nachtseite des Mondes vereinen? Versuche mit unterschiedlichen Materialien das Bild zu realisieren scheiterten 1993.
Damals wusste ich noch nichts von der Bedeutung des Sonne-Mond-Motives in der Alchemie, wo es die Überwindung von Gegensätzen oder Vereinigung des Weiblichen mit dem Männlichen symbolisieren kann. Als Ursprungssymbol für alles über- und unterirdische Leben beschreibt der Alchemist Johann J. Becher (1635–1682) Mond und Sonne. In vielen Kulturen wurden Sonne und Mond als Gottheiten verehrt. In der fernöstlichen Tradition ist das Streben nach Verschmelzen von Polaritäten, nach Einswerden mit Allem ausgeprägt, worauf mich mein Freund Norbert R. Müllert (1939–2021) hinwies. So auch im Yoga – das Wort ‚Hatha‘ in Hatha-Yoga besteht aus den Silben Ha (Sonne) und Tha (Mond) und drückt Einheit einander entgegengesetzter Energien aus wie heiß und kalt, männlich und weiblich, positiv und negativ. Auch in Platons Kugelgleichnis geht es um das Einswerden, um Sehnsucht nach Überwindung von Einsamkeit, die im Gleichnis mit der Unvollkommenheit des Menschen begründet wird.
Wie sehr die Sonne-Mond-Bildobsession und meine alte Sammlung von Gedichten, Texten zusammenhängen, entging mir 1993. Sie handeln von Einsamkeit, Isoliertheit, Sehnsucht nach Liebe, vom Streben Eins-zu-werden, so in Goethes Gedicht Gingko Biloba. Vertreten sind AutorInnen wie Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Erich Fromm, Hermann Hesse, Christine Lavant, Else Lasker-Schüler, Virginia Woolf. Aldous Huxley schreibt in Die Pforten der Wahrnehmung: Die Natur verurteilt jeden Geist, der in einem Körper lebt, dazu, Leid und Freud in Einsamkeit zu erdulden und zu genießen. Empfindungen, Gefühle, Einsichten, Einbildungen – sie alle sind etwas Privates und nur durch Symbole und aus zweiter Hand mitteilbar. Wir können Berichte und Erfahrungen austauschen und sammeln, niemals aber Erfahrungen selbst …
In gleichem Sinne schreibt Hermann Hesse in seinem Gedicht Im Nebel – hier die Schlusszeilen:
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
Die Schranken des Getrenntseins sieht Erich Fromm als überwindbar im lebendigen Aufeinander-Bezogensein, solange beide am Tanz des Lebens teilnehmen. Volle gegenseitige Identifikation kann nicht erreicht werden., heißt es in Haben und Sein. Bei der Darstellung der Verschmelzung in der Skulptur Der Kuss, die Constantin Brâncuși in mehreren Werkreihen produzierte, soll es dem Bildhauer weniger um erotische Liebe als um die Ideale von Gleichheit und Menschlichkeit gegangen sein.
Der Kuss, 1913
Foto: US/Library of congress
Vom Sonne-Mond-Symbol zu den SolUna-Körperdrucken 1999–2001
Zum Entschluss, das Sonne-Mond-Motiv in ein weiblich-männliches Symbol zu wandeln, trugen wesentlich Gespräche mit meinem Künstlerfreund Urs Plangg (1933–2019) bei und die Mitwirkung an seiner Bodenskulptur Unsichtbarer Hermaphrodit. Der in den Metamorphosen Ovids überlieferte zweigeschlechtliche Hermaphroditos steht in der Alchemie für Vereinigung des Weiblichen mit dem Männlichen, für Versöhnung zwischen Geist und Materie und, wie das Sonne-Mond-Motiv, für Überwindung von Gegensätzen.
Die Sonne-Mond-Verschmelzung wurde zu einem weiblich-männlichen Motiv durch Drucke auf Papier mit dem Körper als Malwerkzeug. Acht großformatige Drucke (200 x 150 cm) entstanden von 1999 bis 2001. Die SolUna-Druckaktionen waren aufwühlend, mitunter selbstvergessen.
Körperdruck Embryonal – lebenslange Geburt
Der neunte und letzte SolUna-Druck hat den Titel Embryonal und trägt nur Spuren meines Körpers. Ich beschloss, „u“ im Wort SolUna großzuschreiben, Una als ein Zeichen für das einmalige Universum, das jeder Mensch in sich trägt (Assistenz: Urs Plangg www.ursplangg.art).
Vorgeburtlich sind wir vereint, ein mit der Nabelschnur und dem Herzschlag der Mutter wachsendes Samen-Ei. Und danach, durchtrennt? Erich Fromm begreift Geburt als einen dauernden Vorgang: Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, dass die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind. Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden. Der Tod tritt ein, wenn die Geburt aufhört. Physiologisch gesehen, befindet sich unser Zellsystem in einer fortwährenden Geburt; psychologisch gesehen, hört die Geburt der meisten von uns an einem bestimmten Punkte auf. Manche sind Totgeburten; sie leben physiologisch weiter, während sie sich geistig danach sehnen, in den Mutterschoß, die Erde, die Dunkelheit, den Tod zurückzukehren … Viele andere schreiten auf dem Pfad des Lebens weiter und können doch die Nabelschnur sozusagen nicht vollständig zerreißen; sie bleiben symbiotisch mit Mutter, Vater, Familie, Rasse, Staat, Stand, Geld, Göttern usw. verknüpft; niemals werden sie ganz sie selbst und sind daher niemals ganz geboren.
Embryonal – der letzte Körperdruck der SolUna-Gruppe bedeutet Einssein, vereint sein, lebendig und noch ungeboren, bedeutet zur Geburt hin, zum Werden hin – lebenslang …
Mit zwei Zitaten von Hannah Arendt möchte ich schließen:
Weil jeder Mensch aufgrund des Geborenseins ein initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und etwas Neues in Bewegung setzen.
Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden, und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.