Laws of motion
Malgrund von laws of motion I sind sechs Seiten aus einem Buch von Hans Misar über das 1541 von Michelangelo vollendete „Jüngste Gericht“. Dieses Schauspiel des Weltendes wurde bewundert und es verstörte, vor allem wegen der 400 vorwiegend nackten Gestalten. Das herrschende Weltbild, die Trennung zwischen Gut und Böse, Himmel und Hölle sind darin unangetastet. Bei der ersten Übermalung folgen unterschiedslos alle, Verdammte und Heilige, Körper und Glieder der gleichen Schwerkraft. Die zweite Schicht ist eine Überschreibung mit Erkenntnissen über Gravitation, Sonnensystem, Planeten bis 1827, Wissen, für das Menschen als Ketzer verfolgt und verbrannt wurden. In laws of motion II geht es um die Auflösung und Neuformung der Strukturen. Wissen verpflichtet zum Handeln.
Malgrund für laws of motion – Gesetze der Bewegung I (107 x 53 cm) sind sechs Bildausschnitte aus dem Altarfresko Jüngstes Gericht von Michelangelo (1474–1553). Entnommen sind sie dem Buch Michelangelo. Weltgericht. Mit einer Lebensbeschreibung von Ascanio Condivi, 1942 herausgegeben von Hans Misar. Anders als die farbenkräftigen Fresken in Rom sind die Abbildungen der Figuren und Szenen in Schwarztönen gedruckt.
Michelangelo vollendete nach vierjähriger Arbeit 1541 das Fresko Jüngstes Gericht, das sich über die Altarwand eines Tonnengewölbes der Sixtinischen Kapelle erstreckt. Als ungeheuerliches Schauspiel des Weltendes traf es auf Bewunderung und Verstörung. Kirchliche Kreise sahen die religiöse Bilderpraxis als verletzt, vor allem durch 400 weitgehend nackte Gestalten und die Darstellung des Weltenrichters als furchteinflößenden athletischen Heros.
Übermalung 2013 – Gleichheit
In meiner ersten Übermalung verschwinden durch das Mischen der Figuren, das Übermalen der Bildausschnitte die Ungleichheit und Unterschiede zwischen göttlichen und heiligen Gestalten, zwischen Christus, Propheten, Engeln und Verdammten. Die Glieder und Körper, ob aufrecht, gebeugt oder kopfüber folgen alle der gleichen Schwerkraft, unterschiedslos alle dem gleichen Gesetz.
Während der Umbrüche in der Zeit Michelangelos spielte die christliche Religion im Leben der Menschen noch eine gewichtige Rolle. Frömmigkeit, religiöse Rituale waren verbreitet, Reliquienkult und Ablasshandel blühten wie christliche Übersteigerung, politisches Kalkül und Repressionen gegen Juden. Zwischen 1550 und 1650 war der Höhepunkt der Hexenverfolgungen, die Papst Innozenz VIII durch eine Bulle 1484 legitimierte. Wer abwich von der Kirchenlehre, wurde verfolgt. Im Weltbild der Kirche stand die Erde unbeweglich im Mittelpunkt des Universums, oben der Himmel, unten die Hölle, auf der Erde der Mensch.
Die Inquisition verurteilte 47 Jahre nach Michelangelos Tod den Dichter, Mönch, Philosophen und Astronom Giordano Bruno wegen Magie und Ketzerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Er stellte die geozentrische Sicht infrage und bestand auf der Unendlichkeit des Universums, darauf das dies kein Zentrum hat und ewig dauert. Seine Thesen ließen keinen Raum für ein Jenseits: Zeitliche Anfangslosigkeit schließen Schöpfung aus und im ewigen Universum gibt es kein Jüngstes Gericht. Giordano Bruno musste sterben.
Besonderer Schwerpunkt der Römischen Inquisition war die Unterdrückung der aufkeimenden Naturwissenschaften. Päpste und kirchlich Mächtige versuchten Wissenschaft und Kunst zu kontrollieren, sie sträubten sich gegen selbstständiges Denken, gegen Streben nach Erkenntnis. Ab 1555 gab es einen Index verbotener Bücher, der erst 1966 aufgehoben wurde.
Spektakulär war der Angriff auf den Mathematiker und Physiker Galileo Galilei. Die Anklage im Inquisitionsprozess 1633 lautete Ketzerei und Ungehorsam. Um dem Tod zu entgehen, schwört Galilei ab von seinen Lehren, der Gefangenschaft entging er nicht. Trotz strengstem Hausarrest verfasste er bis zu seinem Tod 1642 ein weiteres wissenschaftliches Grundlagenwerk zur Physik.
Überschreibung 2018 – Streben nach Erkenntnis
Nach der Übermalung der Bildausschnitte aus dem Jüngsten Gericht überschreibe ich 2018 das Bildgeschehen mit einem Text aus dem Buch Discourse of the objects, advantages, and pleasures of science, erschienen 1827 in London. Darin sind wichtige bis dahin gewonnene Erkenntnisse verschiedener naturwissenschaftlicher Zweige, samt Einblicke in die Pflanzen- und Tierwelt anschaulich beschrieben und illustriert. Für das Überschreiben der Gestalten wählte ich den Text von Seite 53 bis 68 über Gravitation, Sonnensystem und Planeten. Die Gestalten im Bild treten hinter die Schriftstruktur.
Was kann Wissenschaft bewegen? Wie lassen sich Dogmen und ewige Wahrheiten überwinden, wie Aberglaube, starre Weltbilder und heutige Verschwörungstheorien begraben?
Aus Buch Discourse of the objects, advantages, and pleasures of science, 1827
laws of motion II – Gesetze der Bewegung unvollendet
Auf der Leinwand-Reproduktion von laws of motion I entsteht 2023 das Bild laws of motion II, Gesetze der Bewegung unvollendet. Die Ausschnitte aus dem Jüngsten Gericht und die Textstruktur beginnen sich durch Übermalen mit Acryl (Titan- und Altweiß) teilweise aufzulösen und umzugestalten. Wohin führt der Weg? Zerstreuung? Zersplitterung, Demontage? Zerstörung oder Neuformung? Welchen Einfluss hat Glaube, haben Vorstellungen? Was folgt aus heutigem Wissen, was kann erwachsen aus Erfahrung, aus Erkenntnis? Werte, Moral?
Forschung und nachprüfbare Wissen, Austausch und Dialog stoßen auf Grenzen, solange Konkurrenz und Ringen um Macht das Miteinander, die Gesellschaft bestimmen. Der voranschreitende Prozess der Weltzerstörung lässt zweifeln, ob wissenschaftliche Erkenntnisse die Mehrheit der Menschen, Verantwortliche und Mächtige dazu bewegen, ihr Handeln oder Nichthandeln zu ändern. Werden trotz Wissen und der Erfahrung von zunehmenden Katastrophen die Lebensgrundlagen für Tiere, Menschen und Pflanzen weiter vernichtet? Wissen verpflichtet zum Handeln. Wo wachsen die Pflänzchen der Hoffnung?
Foto Ausschnitte aus: laws of motion II – Gesetze der Bewegung unvollendet
Gesamtbild 107 x 53 cm